


Wir bringen das GERNE in die Berufsorientierung
Gemeinsam mit jungen Menschen und in Kooperation mit dem Bezirksamt Neukölln entwickeln wir ein innovatives Modellkonzept für eine zeitgemäße und lebenswirklichkeitsnahe Berufsorientierung mit dem Fokus auf herkunftsunabhängigere Zukunftschancen für alle junge Menschen in Neukölln. Grundlage für diese Arbeit ist die innovative Methode „Das Gerne-Prinzip “.
Wir gehen dem aktuellen Stand und Bedarf im Bezirk auf den Grund, stets auf der Suche nach dem bereits Gelingenden, um es weiter zu stärken: Wir sammeln und analysieren Ideen, Gedanken, Vorhandenes, Wünsche, Sorgen, Umstände und Erfahrungen. Wir entwickeln daraus im Anschluss konkrete Vorschläge, das GERNE-Prinzip bei der Umsetzung gelingender Berufsorientierung einzusetzen und alle Beteiligten damit zu unterstützen.
Das GERNE-Prinzip orientiert sich an folgenden fünf Leitgedanken:
1. Positives Menschenbild (es ist schon alles da, weniger Bewertungskultur)
2. GERNE statt gut (Sinnbehaftung als neuer kontextbezogener Bewertungsmaßstab)
3. Interessiert statt interessant (Resonanz und Begegnung)
4. Serendipität (dem Unvorhersehbarem Raum schaffen)
5. Perspektivwechsel (Vorstellungskraft stärken)
Wir möchten dazu beitragen, dass junge Menschen in Neukölln zuversichtlich in die Zukunft blicken können. Noch ist in Deutschland die soziale Herkunft ein wesentlicher Faktor, der über die berufliche Zukunft junger Menschen entscheidet.
Im Fokus unserer Arbeit im Entwicklungsprojekt sind junge Menschen, die in armen Familien aufwachsen. Ihr Anteil ist mit rund 30% in Neukölln sehr hoch. Denn: Prekäre Lebensbedingungen schränken Teilhabe (Bildung, Erfahrungen sammeln, auf Ideen kommen durch Vorbilder etc.) ein, haben Einfluss auf Schullaufbahnen, auf Berufsorientierung, auf Chancen – und den Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Unter ihnen ist ein hoher Anteil an jungen Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchtgeschichte. Für sie erschweren mangelnde Deutschkenntnisse teilweise
den Schulbesuch bzw. die Suche nach Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, wobei andere Talente wie z.B. vorhandene Mehrsprachigkeit am Arbeitsmarkt strukturell wenig bis keine Rolle spielen. Auch, dass diese jungen Menschen oft früh viel Verantwortung (z.B. für Behördengänge) übernehmen, wird in klassischen Arbeitsmarktkontexten wenig gewürdigt. Diese Arbeitsmarktstrukturen haben Einfluss auf die Berufsorientierungspraxis.
Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind zudem häufig von Diskriminierung betroffen. Herkunft, Name oder die Wohnadresse in Neukölln treffen auf Vorurteile, so dass Bewerbungen trotz gleicher Qualifikation abgelehnt werden. Als Folge droht weiter eine hohe Jugendarbeitslosigkeit im Bezirk. Viele junge Menschen haben keinen oder niedrige Schulabschlüsse und finden keine Lehrstellen oder Einstiegsjobs, zumal in Berlin 140 Ausbildungsplatzsuchende auf 100 Ausbildungsplätze kommen. Gleichzeitig sind einige Sektoren vom Fachkräftemangel betroffen: Im Handwerk, im Gesundheitswesen, im IT /Tech-Bereich und im Sektor Bildung und
Erziehung fehlt es an Nachwuchs.
Das Modellkonzept, das wir entwickeln, wird ein erster Schritt sein in Richtung einer Sozialen Innovation, in der der soziale Hintergrund einer selbstbestimmten beruflichen Zukunft junger Menschen eine immer geringere Rolle spielt.
Seit 2014 machen wir beste Erfahrungen mit unserem innovativen GERNE-Prinzip in der Arbeitswelt von Erwachsenen, die sich beruflich verändern wollen oder müssen. Wir haben Methoden für Jobmatchings erarbeitet, und konzipieren nun ein Modellprojekt, um dieses Gelingen auf für die genannte Zielgruppe zu übertragen. Dabei orientieren wir uns an der Komplexität und Kontextabhängigkeit von Berufsorientierung - und möchten dazu beitragen, dass die bereits gut aufgestellte institutionelle Berufsorientierung (career guidance) im Bezirk die individuelle Berufsorientierung (career development) der Jugendlichen wirksamer unterstützen kann.
• Für Teilhabe, Selbstbestimmung und Gesundheit für junge Menschen
Junge Menschen verdienen bessere Perspektiven für ein selbstbestimmtes, gesundes, zufriedenes und eigenverantwortliches Arbeitsleben – unabhängig von ihrer Herkunft.
• Für Demokratiebildung und sozialen Frieden
Ein chancengerechterer Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt (Bildungsauftrag) ermöglicht soziale Teilhabe als wichtige Basis für Partizipation und Demokratie.
• Für mehr Auszubildende und Arbeitskräfte in und aus Neukölln
Neukölln als Wirtschaftsstandort profitiert von mehr gut orientierten jungen Menschen, die ihre Kompetenzen realistisch einschätzen können – und die sich beteiligen möchten.
• Für weniger staatliche Kosten
Mehr junge Menschen in Ausbildung und Arbeit bedeutet auch: weniger Folgekosten für den Bezirk (wie Sozialhilfekosten, aber auch z.B. im Bildungs- und Gesundheitssystem).
• Für gestärkte Schulen
Gelingende Berufsorientierung für alle jungen Menschen hilft, soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten an Schulen auszugleichen: für mehr Motivation, Zuversicht und Lust auf Lernen, aber auch für mehr Selbstwirksamkeit für Lehrkräfte und Sozialpädagog*innen.
Wir haben zunächst eine umfassende multiperspektivische Problem- und Umfeldanalyse durchgeführt mit mehr als 40 strukturierten Interviews, weiteren vielen Recherchegesprächen, intensive Fachliteraturrecherche, mehreren Hospitationen, Teilnahme an zahlreichen einschlägigen Fachveranstaltungen. Wir haben einen prototypischen Workshop entwickelt und mit Jugendlichen aus der Zielgruppe durchgeführt. Wir haben in mehreren Konzeptionstreffen mit critical friends unsere Ergebnisse analysiert und ausgewertet.
Insgesamt wurde unsere Ausgangsthese bestätigt. Soziale Herkunft ist der entscheidender Faktor in der Berufsorientierung und stellt ein ernstes soziales Problem dar, auch und vor allem in Neukölln: für die Jugendlichen und ihre Familien (wenn sich sozioökonomische Schieflagen in Generationen verfestigen); aber auch für die Neuköllner Gesellschaft, wenn die Neuköllner Wirtschaft dieses Potenzial verschenkt.
Wir haben fünf vielversprechende Potenzialfelder für unseren Lösungsansatz ausgemacht, die beschreiben, unter welchen Bedingungen Berufsorientierung bereits gut gelingt – wenn sie gelingt - denn die Stärkung des Gelingenden verhindert Doppelstrukturen und gewährt einen echten Mehrwert für das bestehende System:
1. Zufälle systematisieren
Wie können wir Zufälle nutzen oder herbeiführen und „unerwartete Abgänge in Arbeit“ möglich machen, ohne dass wir auf wir auf sie warten müssen und ohne dass die so entstandenen Jobs „Sackgassen“ im Sinne von naheliegenden Verlegenheiten im (engen) Umfeld sind?
2. Bildungs- und arbeitsmarktunabhängige Fähigkeiten-Einschätzung
Wie können wir Jugendlichen ermöglichen, ihre Fähigkeiten selbst umfassend und arbeitsmarktunabhängig einzuschätzen, ohne dass es beliebig wird oder die Bedeutung von Qualifikationen verloren geht und die Lernmotivation sinkt.
3. Persönliche informelle Begegnungen und Beziehungen
Wie können wir allen Jugendlichen ausführliche / ausreichende persönliche (informelle) Gespräche und Begegnungen für die berufliche Orientierung ermöglichen und zum Standard machen, ohne dass es noch aufwändigere „Handarbeit“ für Berufsberatende und Sozialpädagog*innen wird / es hohen Zeit-/Personalaufwand braucht.
4. Lebenslange / jederzeit mögliche Berufsorientierung
Berufsorientierung in den Alltag integrieren z.B. von der Kindheit bis ins höhere Erwachsenenalter ermöglichen und im Bildungssystem mitdenken und kulturell verankern, ohne dass es zu aufwändig, aber auch ohne dass es verschult, verkrampft oder unpassend wird.
5. Zugang zu Information
Wie können wir allen Jugendlichen in Neukölln real Zugang zu den für sie relevanten Informationen ermöglichen, Möglichkeiten aufzeigen, ohne dass sie davon überfordert sind (“Dschungel“) oder „erlernt hilflos“ werden.
Unser Lösungsansatz:
Wir konzentrieren uns im Modellprojekt darauf, den sogenannten “verdeckten” Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Jugendliche in Neukölln systematisch zu öffnen und gleichzeitig den von uns identifizierten verdeckten “Bewerber*innenmarkt” für Unternehmen aufzuschließen.
Wir greifen u.a. auf unsere diesbezüglichen professionellen Erfahrung aus der Erwachsenenpädagogik und die bewährten Leitgedanken des GERNE-Prinzips zurück und haben ein neues Programm spezifisch für Jugendliche entwickelt, Tools erarbeitet und innovative Techniken (u.a. aus dem VETO-Prinzip) angepasst, um sie für die Jugendlichen-Arbeitswelt nutzbar zu machen.
Ebenso greifen wir auf unsere Erfahrung in der Begleitung von Unternehmen in der Mitarbeitendensuche zurück. Wir haben für das Modellprojekt neue Methoden und Ideen entwickelt, um das potenzielle Ausbildungsangebot / Nachwuchsgewinnung zu adressieren: Wir ermöglichen Unternehmen, Bewerbende zu finden, die sie bisher nicht auf dem Schirm hatten, z.B. weil sie Anforderungen direkt in vermeintliche formale Qualifikationen übersetzt hatten. Arbeitgebende lernen das Potenzial bisher nicht beachteter Bewerbergruppen zu schätzen und im besten Fall zu nutzen.
Das innovative Lösungspotenzial liegt darin, dass wir konkret diese Hebel miteinander verzahnen, um die Jugendlichen direkt zu befähigen, neue Verhaltensweisen und Fähigkeiten anzuwenden, aber auch den systemischen Wandel zu befördern, um ein breites Bewusstsein und Verständnis für die Vorgehensweise zu schaffen, damit beratende und Bezugs-Personen die soziale Innovation beschleunigen.
Wir adressieren die Ursachen bekannter sozialer Probleme und finden hier Lösungen. Wir setzen auf das Prinzip der “Ansteckung” als einen sich selbst verstärkenden Prozess hin zu dem erwünschten Systemwandel, in dem wir die Chance erhöhen, dass sich jeweils beide Seiten bewusst und gut begründet und daher nachhaltig für eine Zusammenarbeit z.B. Ausbildung, entscheiden.
Diese Ansätze werden wir im Modellprojekt prototypisch umsetzen, analysieren, iterativ und aus dem Feedback der Teilnehmenden weiterentwickeln, ggf. neue Hebel identifizieren.
Das Modellprojekt setzt an drei Wirkungsebenen an, um als Baustein zur Verstetigung der sozialen Innovation beizutragen.
1. Direkte Befähigung der Jugendlichen: In den Programmen erlernen die Jugendlichen konkrete, neue Fähigkeiten und Techniken mit dem Ziel, das eigene Verhalten zu ändern (z.B. Gesprächstechnik, Netzwerktechnik, Selbsteinschätzung, Feedback geben)
2. Direkte skalierte Befähigung: Befähigung der Jugendlichen die Techniken an andere weiterzugeben ( Peer-to-Peer / Reverse Mentoring) mit dem Ziel ihre Lebenslage zu verändern ( Hilfe gebend statt Hilfe suchend ). Im Idealfall werden die Jugendlichen für diese Tätigkeit mit einem Honorar vergütet.
3. Systemischer Wandel: Flankierende Maßnahmen befördern den systemischen Wandel, in dem Institutionen und Personen Wissen und Fähigkeiten erhalten, um Jugendliche in ihrem neuen Verhalten zu unterstützen z.B. Arbeitgebenden Workshops in Neukölln-Unternehmensnetzwerk, Infoveranstaltung Karriere-Tag und Jobmessen, Infoveranstaltungen an Schulen und für Bezugspersonen
Das Modellprojekt erzeugt gesellschaftliche Wirkung, wenn die Zielgruppe ihr Handeln ändert und so ihre eigene Lebenslage verbessert. Hierzu beabsichtigen wir entlang der Wirkungstreppe sowohl die Umsetzung der Aktivitäten (Output) als auch die erzeugte Wirkung zu messen und aufzubereiten.
Beirat und wissenchaftliche Begleitung
Wir haben zudem begonnen, einen Beirat zusammenzustellen und haben bereits einige Zusagen für den Fall der Förderung des LSI Modellprojektes (mehrere Jugendliche, Jugendberufshilfe, Jugendberatungshaus, ACT e.V., AG78, JobCenter etc.)
Zudem haben wir bereits erste Kontakte aufgenommen, um das Modellprojekt wissenschaftlich begleiten zu lassen, etwa in einer Abschlussarbeit.
- Unsere Kooperationspartnerin im Bezirksamt Berlin-Neukölln ist Irina Neander (Jugendamt Berlin-Neukölln). Sie bringt als Leiterin der Jugendberufshilfe und Ansprechpartnerin zur Jugendberufsagentur wertvolle Expertise im Bereich der Berufsorientierung für den Neukölln ein. Zudem bietet ihr bestehendes Netzwerk eine wichtige Grundlage für die Planung und Konzeption des Projekts.
- ACT e.V. - Führe Regie über dein Leben: Mit einer großen „street credibility“ ist ACT e.V mit jungen Neuköllner*innen verbunden und auch in der Bildungslandschaft anerkannt. Ihr aufrichtiges Interesse und Fürsprechen mit dem ehrlichen Anspruch der Ebenbürtigkeit hat zu einem enormen Erfolg über viele Jahre und nicht zuletzt zur Entwicklung des innovativen Konzeptes des Veto-Prinzips geführt: Das Veto-Prinzip erleichtert einen gelingenden Umgang in unterschiedlichen Status-Realitäten,
mit Widerstand, mit Vorurteilen auf allen Seiten. Wir freuen uns, gemeinsam gleichwürdige Räume für eine echte Auseinandersetzung zu schaffen.
(Fotos: Flipped Job Market und Jan Michalko/re:publica)
